Trennungs- und Verlustangst – Zusammenhang mit Depression, Angsterkrankung und Psychosomatik

„Ich habe Angst meinen Partner/meine Partnerin zu verlieren“, ist ein Satz, den ich oft bei einem ersten Gespräch in der Praxis höre. Die Sorge nicht richtig zu sein, etwas falsch zu machen und den anderen dadurch möglicherweise zu verlieren. Damit einher folgt meistens die Beschreibung: “ Ich kann nicht gut alleine sein.“

 

Was heißt denn Verlustangst und Trennungsangst?

Die Ängste beziehen sich auf den Partner, Kinder, Familienmitglieder oder Freunde. Wenn die geliebten Menschen alleine das Haus verlassen, zur Arbeit gehen oder verreisen, wollen sie die Betroffenen am liebsten nicht gehen lassen. Es ist die Sorge, dass etwas passieren könnte oder die Eifersucht, dass sich der Partner mit einer anderen trifft. Die Befürchtung, die Person ist plötzlich „weg“ und nicht mehr greifbar wird übermächtig. Gedankenkreisen, Schuldgefühle und sozialer Rückzug sind oft die Folge. Bei vielen Patienten ist das Gefühl vorherrschend, alleine ohne die Person nicht existieren zu können. Die Betroffenen fühlen sich emotional abhängig und unselbstständig. Das eigene Leben mit Arbeit, Hobbies und sozialen Kontakten kann oft nicht mehr bewerkstelligt werden. Abwegige und schreckliche Szenarien werden im Kopf durchgespielt, was der geliebten Person alles passieren könnte.

 

Wodurch entsteht Trennungs- und Verlustangst?

Es gibt verschiedene Erklärungsansätze zu diesem Thema. Zum einen wird davon ausgegangen, dass eine genetische Vererbung vorliegt. Eine andere Entstehungsursache kann sein, dass Patienten früh Verluste erlebt haben. Ein Elternteil ist verstorben oder ein Geschwisterkind, die Eltern haben sich scheiden lassen oder Ähnliches. Traumatische Erfahrungen können zur Verlustangst führen. Manche entwickeln die Ängste erst im Erwachsenenalter, z.B. wenn der Partner stirbt oder sich trennt. Der Tod eines Kindes oder nahen Bezugsperson kann ebenfalls der Grund dafür sein. Die Hintergründe der Entstehung sind vielfältig und setzen sich meiner Erfahrung nach aus mehreren Faktoren zusammen. Persönlichkeitsstruktur und Umfeld spielen auch eine Rolle. Die Betroffenen leiden meisten unter einem geringen Selbstwertgefühl und brauchen viel Bestätigung von außen. Wenn diese wegfällt, entstehen Ängste.

 

Welche Beschwerden können im Zusammenhang auftreten?

Die Trennungs- und Verlustängste im Erwachsenenalter sind noch nicht gut erforscht. Seit kurzem gibt es eine Diagnose im Diagnoseverfahren. Die Erkrankung tritt oft im Zusammenhang mit anderen psychischen Problemen auf. Angststörungen, Panikstörungen, Depressionen, Zwangsstörungen und Psychosomatische Beschwerden sind einige davon. Natürlich hat nicht jeder eine psychische Erkrankung, der Verlustangst verspürt. Wir alle kennen mehr oder weniger dieses Gefühl. Das Ausmaß der Angst ist u.a. entscheidend und wie stark sich die Betroffenen in ihrem Alltag eingeschränkt fühlen. Bei einer Depression oder Angststörung leiden die Betroffenen oft unter einem geringen Selbstwertgefühlt. Mit diesem Gefühl „nicht viel bieten zu können“, verstärkt sich auch die Sorge, dass nahe Bezugspersonen sich abwenden könnten. Bei anderen kommt es aufgrund der Grübelzwänge zu Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Verdauungsbeschwerden. Ängste bedeuten für den Köper immer viel Stress, der sich auf unterschiedliche Arten äußert.

 

Bindung und Vertrauen (wieder) lernen

Trennungs- und Verlustangst hat  etwas mit Bindung zu tun. Wie sicher fühle ich mich gebunden in Beziehungen? Welche Erfahrungen habe ich in Sachen Bindung zu meinen ersten Bezugspersonen gemacht? Und wie sicher fühle ich mich in der Verbindung zu mir selbst? Dies sind einige wichtige Fragen auf denen die psychodynamische Körpertherapie basiert, mit welcher ich u.a. arbeite. Bindung spielt auch im Therapieprozess eine entscheidende Rolle. Habe ich Vertrauen zu meiner Therapeutin und fühle ich mich dort sicher? Oder ist meine Beziehung durch Misstrauen geprägt. Durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und Körperübungen, in denen Berührung und Kontakt eine Rolle spielen, können positive Bindungserfahrungen gemacht werden. Dies passiert natürlich in kleinen Schritten und in Abstimmung mit dem Patienten oder der Patientin. Kontinuität und Verlässlichkeit sind ebenfalls wichtige Eigenschaften im professionellen Kontext. Die Arbeit mit dem inneren Kind gibt oftmals Aufschluss über Bedürfnisse und alte Verletzungen, die hinter der Verlustangst liegen. Dadurch, dass diese Bedürfnisse nachträglich gesehen und erfüllt werden, kann dies ebenfalls zum Wohlergehen beitragen.

 

Wann brauche ich therapeutische Hilfe?

Diese Frage muss sich letztlich jeder und jede selbst beantworten. Ob nun eine Verlustangststörung vorliegt oder meine Ängste allein zu sein oder mir die Sorge, einen meiner Lieben zu verlieren mir immer wieder begegnet. Entscheidend ist der Leidensdruck, der für mich oder auch für mein Umfeld entsteht. Die Entscheidung sich professionelle Hilfe zu suchen, sollte immer aus der eigenen Motivation heraus entstehen und dem Wunsch etwas zu verändern. Wenn mich die Ängste zu sehr in meiner Lebensqualität einschränken, ist vielleicht die richtige Zeit für eine Unterstützung. Es muss nicht immer eine Diagnose vorliegen.

Herzlichst Ihre
Andrea Götte