Suizidgefahr und Depression – Ansprechen oder Schweigen ?

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Nicht immer meiner Meinung nach, zumindest nicht wenn es um das Thema Suizidgefahr geht. Wann können wir davon sprechen, dass Suizidgefahr bei einem Menschen besteht? Haben wir Freunde oder Angehörige, um die wir uns in dieser Hinsicht Sorgen machen oder sind wir auch selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen, kann dies wichtig sein.

 

Wann sprechen wir von Suizidgefahr?

Mittelgradige oder schwere Depressionen sind häufig von Selbstmordgedanken oder Versuchen begleitet. Etwa 10% – 15% der Menschen mit schweren Depressionen sterben durch Suizid. Eine hohe Zahl. Es gibt noch zahlreiche andere Erkrankungen bei denen Suizid eine Gefahr darstellt. Manchmal sind es auch spontane Handlungen, die vorher nicht abzusehen sind. Wann jemand in der Gefahr ist, suizidal zu sein, ist nicht immer erkennbar. Auch ich wurde schon von der Nachricht überrascht, dass sich ein Kollege das Leben genommen hat. Erst im Nachhinein fallen dann kleinere, scheinbar nebensächliche Begebenheiten oder Sätze auf. Suizidgedanken können sehr unterschiedlich sein. Sehr konkret wie der Suizid begangen werden soll oder auch nur wage mit dem Wunsch, dass endlich Schluss ist mit dem Zustand, in welchem sich die Betroffenen befinden. Oft steckt hinter dem Wunsch nach dem Tod eher der Wunsch nach Veränderung, als der Wunsch zu sterben. Zumindest nach meiner Erfahrung ist dies so. Der Tod als Endlösung und Rest an Selbstbestimmung, wenn alles zu entgleiten scheint, ist verführerisch. Hinzu kommt, dass manche Betroffene deutlich entspannter und gelassener werden wenn sie erst einmal die Entscheidung getroffen habe, sich das Leben zu nehmen. Für das Umfeld sieht es dann so aus als ob es der Person besser ginge. Dies ist dann ein Trugschluss.

 

Konkret nachfragen

In meiner Praxis händige ich den Patienten und Patientinnen vor Beginn der Therapie einen Anamnesebogen aus. Ich stelle dort konkret die Frage nach suizidalen Tendenzen oder bereits begangenen Suizidversuchen. Wird diese Frage mit „Ja“ beantwortet hake ich natürlich nach ob es aktuell auch so ist. Woher ich weiß, dass sie mir die Wahrheit sagen? Nun, wissen kann ich es natürlich nicht. Grundsätzlich kommen die Menschen zu mir, um Hilfe zu bekommen. Viele sind erleichtert wenn ich sie direkt auf Suizidgedanken oder Versuche anspreche. Eine Last fällt ab, die quälenden Gedanken mit sich alleine herum zu tragen. In den meisten Fällen ist die Suizidgefahr nicht akut und es handelt sich um Gedanken an den Tod, weil eine Erschöpfung vorliegt. Manche haben schon einen Suizidversuch in jüngeren Jahren hinter sich und sagen, dass dies für sie nicht mehr Frage käme. Die Erfahrung hätte ihnen gezeigt, dass es immer weiter gehe. Über die Frage nach Selbstmordgedanken oder Versuchen wird das Gespräch oft tiefer und die Bedürfnisse und belastenden Gedanken kommen zu Tage. Ich erlebe es öfters, dass Patienten oder auch andere Personen in einem privaten Rahmen überrascht schauen wenn ich frage: Haben sie / Hast du Gedanken an Selbstmord? Viele rechnen nicht mit der offenen Konfrontation und dem Interesse. Aber es ist genau das, gezieltes Nachfragen, weil ich es wissen will.

 

Ein Zeichen der Verbindlichkeit

Und dieses „wissen wollen“ zeigt meinem Gegenüber, dass es mich interessiert wie es ihm oder ihr geht. Dazu gehört auch das Unangenehme. Denn falls die Antwort „Ja“ lautet müssen beide schauen wie es dann weiter geht. In meiner Praxis bin ich dazu verpflichtet den Rettungswagen zu rufen wenn jemand akute Suizidabsichten hat. Und auch privat müssen Schritte folgen. Unterstützung anbieten, gemeinsam in eine Klink zu fahren kann ein erster Schritt sein. Manche äußern die Sorge, dass sie ihr Gegenüber ja vielleicht erst auf den Gedanken bringen, sich etwas anzutun. Diese Sorge ist meiner Erfahrung nach unbegründet. Wer tatsächliche Selbstmordabsichten hat, ist schon vor ihrer Frage darauf gekommen. Im Gegenteil, das Nachfragen kann ein Ventil sein, Druck abzulassen und sich endlich mitzuteilen. Denn wenn wir ehrlich sind, habe sehr viele von uns in schwierigen Situationen schon einmal gedacht „Was wäre wenn…“. Dieser Gedanke ist menschlich, wenn er zu stark wird, braucht es manchmal ein mitfühlendes Gegenüber was ihn ausspricht.

 

Herzlichst Ihre Andrea Götte