Spieglein, Spieglein an der Wand – Was sehe ich und was fühle ich ?

Anlass zu diesem Blog Beitrag hat mir der Artikel in der Zeitschrift „Psychologie Heute“ ( November 2022) gegeben. Die Psychologieprofessorin Tara Well entwickelte eine Meditationstechnik mit dem Spiegel.

 

Schau dir in die Augen Kleines

Schon vor längerer Zeit habe ich mir bei einem Blick in den Spiegel einmal wirklich selber in die Augen gesehen. Der Gedanke kam plötzlich „Jetzt schau dir doch mal selbst in die Augen“, „Mit was für einem Ausdruck schaust du?“.
Wenn Sie dies zum ersten Mal bewusst tun ist es ein besonderes Erlebnis. Zumindest war es für mich so. Normalerweise nutzen wir den Spiegel, um uns zu schminken, zu rasieren, oder zu überprüfen ob wir etwas Merkwürdiges im Gesicht haben. Bei dem Blick in den Spiegel den ich meine, geht es allerdings nicht um diese Äußerlichkeiten, sondern darum, in Ihrem Gesicht zu lesen. Können Sie sich wirklich selber in die Augen sehen? Wie fühlt es sich an? Vielleicht macht es Ihnen Freude, oder es ist unangenehm und sie weichen dem Blick aus. Vielleicht bewerten Sie sich auch sobald sie in den Spiegel schauen. Ist meine Nase groß! Meine Augen sind ganz schön geschwollen heute oder Ähnliches. Aber wie geht es Ihnen? Was sehen Sie im Spiegel?

 

Kommen Sie Ihren Gefühlen auf die Spur

Wenn Sie vor dem Blick in den Spiegel denken „Mir geht es gut“ und dann hineinsehen. Stimmt das? Vielleicht ist ihr Augenausdruck eher traurig oder wütend. Möglicherweise sehen sie erschöpft oder müde aus. Frau Tara Well hat aus diesem Vorgehen eine Meditationspraktik entwickelt. Sie selbst hat sich als Kind oft vor eine spiegelnde Fläche gesetzt und Grimassen gezogen. Sie hat sich so die Zeit vertrieben. Auch heute noch würde ihr das eigene Spiegelbild ein Gefühl von Sicherheit geben.

 

Ich bin da! Mit allem was ich sehe

Meiner Ansicht nach kann der Blick in den Spiegel auch noch mehr das Gefühl unterstreichen von „Hey, ich bin wirklich da! Ich kann mich sehen!“ Hört sich komisch an für Sie und Sie denken „Na klar bin ich da, was denn sonst?“. Menschen mit Depressionen, Angsterkrankungen oder Zuständen von Depersonalisation oder auch einem geringen Selbstwertgefühl haben oft den Eindruck zu verschwinden. Sie spüren sich oftmals nicht mehr richtig oder haben den Zugang zu ihren Emotionen verloren. Auch als Kind haben einige von uns die Erfahrung gemacht, nicht ausreichend genug gesehen zu werden.  Die Identifikation mit dem Gefühl, unsichtbar zu sein für die Umwelt, kann daraus entstehen. Betrachte ich mich bewusst jeden Tag für einige Minuten im Spiegel, nehme ich Facetten an mir wahr, die mir zuvor vielleicht gar nicht aufgefallen sind. Dazu kommt die Erkenntnis „Wenn ich so ein Gefühl im Spiegel an mir erkenne, dann sehen mich die anderen ja auch so“. Das was also normalerweise andere Menschen mir spiegeln, erkenne ich vielleicht selbst.

 

Mitgefühl für sich selbst entwickeln

Wenn ich mich also selbst im Spiegel betrachte und sehe, dass ich beispielsweise traurige Augen habe, dann ruft das möglicherweise mehr Mitgefühl in mir hervor, als wenn ich das Gefühl nur fühle. Eine erlernte Reaktion bei Traurigkeit ist oft darüber hinweg zu gehen, oder es mit einem inneren „stell dich nicht so an“ wegzuwischen. Kann ich aber wirklich Mitgefühl mit mir aufbringen, werde ich auch dafür sorgen, dass es mir besser geht. Vielleicht brauche ich etwas mehr Ruhe oder einfach ein wenig Zeit, mich meiner Trauer zu widmen. Sie können lernen, sich selber Trost zu spenden. Dies funktioniert natürlich auch mit anderen Gefühlen. Eine weitere Arbeit mit dem inneren Kind, kann diese Gefühle näher betrachten und Bedürfnisse identifizieren.
Spiegel sind in Mythen und Sagen u.a. ein Tor zu einer anderen Welt, ein Portal.  Vielleicht eröffnet sich auch Ihnen eine andere Welt von Ihnen selbst wenn sie mit Mitgefühl in den Spiegel blicken.

 

Herzlichst Ihre Andrea Götte